18.09.2022 - 17:28 Uhr
Franz Fischer
Nr. 7927
261

Klimaticket in Österreich bisher nur bedingt erfolgreich

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(Wien) - Ach wie schön wäre es, gäbe es in Deutschland keine Autos und Straßen. Gerne wird dabei auf die Schweiz und Österreich verwiesen. Vor rund einem Jahr hat Österreich das Klimaticket eingeführt. Es ähnelt dem Schweizer Generalabonnement, ist aber billiger. Österreich wurde so zum Versuchslabor: Fördern günstige Preise das Umsteigen auf den öffentlichen Verkehr oder nur die Vielreiserei?
 

Klimaticket kostet 1.095 Euro
Nicht mehr das Bahnland Schweiz, sondern Österreich ist nun das Paradies für fleißige Zugfahrer. Der Grund ist das „Klimaticket“, ein Fahrschein für den gesamten öffentlichen Verkehr, den es seit rund einem Jahr gibt. Für die zweite Klasse kostet es 1.095 Euro im Jahr, für die erste Klasse knapp 2.500 Euro. In der Schweiz werden die entsprechenden Generalabonnemente für 3.860 und 6.300 Franken vertrieben.

Grüne setzten sich durch
Der Einführung des Klimatickets gingen lange und heftige Diskussionen voraus; so befürchtete etwa die staatliche Eisenbahngesellschaft ÖBB Einnahmenverluste, weil das Ticket die rund doppelt so teure Österreichcard ablöste. Am Schluss konnte sich die grüne Umwelt- und Verkehrsministerin Leonore Gewessler mit ihrem Vorhaben zum großen Teil durchsetzen. Der Bund lässt den Verkehrsbetrieben jedes Jahr 150 Millionen Euro als Entschädigung zukommen. Für die Politikerin ging damit „ein Herzenswunsch“ in Erfüllung, wie sie vor einem Jahr sagte.

180.000 Tickets verkauft
Mit rund 110.000 Käufern rechnete die Regierung im ersten Jahr, als mit viel Prestige zum Nationalfeiertag am 26. Oktober 2021 das Angebot eingerichtet wurde. Mittlerweile sind 180.000 Tickets im Umlauf. Stolz ist auch der Verkehrssektor: Die hohen Absatzzahlen sehen dessen Vertreter als weitere Bestätigung dafür, dass Österreich die Bahnnation Nummer eins in der EU ist. Im Durchschnitt legen die Einwohner im Jahr rund 1.500 Kilometer mit der Eisenbahn zurück. In Europa sind nur die Schweizer noch treuere Bahnkunden mit 2.500 Kilometern.

Ökonomen erachten das Ticket als zu günstig
Der „Mobilitätsplan 2030“ der österreichischen Regierung sieht vor, den Anteil der „Öffis“ am Gesamtverkehr bis 2040 von 23 auf 40 Prozent zu erhöhen. Ähnliche Pläne verfolgt der baden-württembergische Verkehrsminister Winfried Hermann.

Doch Ökonomen beurteilen das Klimaticket kritisch. Sebastian Kummer, Logistikspezialist an der Wirtschaftsuniversität Wien, hält es für zu billig. Das habe unerwünschte Effekte, sagt er.

Die Nutzer haben mit dem Klimaticket nur Fixkosten, aber keine variablen Aufwendungen. Deshalb nutzen sie das Klimaticket nicht nur für notwendige Fahrten, sondern auch für unnötige Ausflüge. Schließlich liegen die Grenzkosten solcher Reisen bei null. In der Folge steigt das Verkehrsaufkommen und belastet unnötigerweise die Umwelt und schädigt das Klima.

Kummers zweiter Kritikpunkt bezieht sich auf den Mitnahmeeffekt. Laut diesem kaufen in erster Linie jene Österreicher das Klimaticket, die vorher die teurere Österreichcard erworben haben oder ohnehin den ÖPNV nutzen. Somit kämen die Steuerzahler finanziell für die Verkehrsbedürfnisse einer Klientel auf, die grundsätzlich auf öffentliche Verkehrsmittel schwört, beispielsweise die Bewohner städtischer Zentren.

Österreichs Verkehrs- und Energieministerium will die Effekte, welche das Klimaticket auf das Verkehrsaufkommen hat, mithilfe von Daten untersuchen. Für exakte Erkenntnisse ist das Klimaticket aber noch nicht lange genug auf dem Markt.

Städte profitieren, ländliche Räume nicht
Gewisse Vermutungen hat die Firma One-Mobility bereits gewonnen. „Österreicher mit einer guten Schienenanbindung sind unter den Klimaticket-Käufern überrepräsentiert“, sagt Jakob Lambert, Geschäftsführer von One-Mobility. Die allermeisten Klimaticket-Käufer seien schon vorher ÖPNV-Nutzer gewesen. Nur ein kleiner Bevölkerungsteil war bereit Mehrausgaben zu tätigen.

Lambert ist sich bewusst, dass je nach Region große Anstrengungen vonnöten sein werden, um in Österreich einen Umsteigeeffekt auszulösen. Viele Wiener nutzen den öffentlichen Verkehr wie selbstverständlich. Anders sehen jedoch die Gewohnheiten jener aus, die in peripheren Regionen wohnen. Ein engmaschiger Taktfahrplan ist in solchen Gegenden illusorisch: Zu gering ist das Passagieraufkommen und zu groß der Vorteil des Autos.

Das führt zu einem Teufelskreis: Der Ausbau des ÖPNV lohnt sich nicht, was die Einwohner wiederum davon abhält, ihn zu nutzen. Das Klimaticket wird dort nicht viel bewirken, ist sich One-Mobility sicher.

„Spannend sind dagegen die Regionen zwischen Stadt und Land“, sagt Lambert: also die Agglomerationen rund um die mittelgroßen Zentren. Dort muss Österreich laut dem One-Mobility-Geschäftsführer Klimaticket-Nutzer gewinnen, um einen Verlagerungseffekt zu erzielen.

Dafür bauen die ÖBB die Infrastruktur für viel Geld weiter aus. Bis ins Jahr 2027 werden sie 18,2 Milliarden Euro investieren. Über die Zustände in Deutschland dagegen schütteln österreichische Ökonomen und Experten nur den Kopf. Im Nachbarland herrsche ein „irrer Investitionsstau“, sagt ein Transportfachmann. Ihn zu beheben, daure mindestens zehn Jahre.


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