02.08.2018 - 00:30 Uhr
Franz Fischer
Nr. 6321
880

Luft ist schlecht, aber nicht schlecht genug

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(Gaisbeuren) - Die Deutsche Umwelthilfe hat im Juni gemeinsam mit der "Initiative B30" die Luftschadstoffbelastung in Gaisbeuren gemessen. Die Messaktion belegt, dass nicht nur Städte mit amtlichen Messstellen mit einer zu hohen Luftbelastung mit dem stark giftigen Stickstoffdioxid (NO2) kämpfen. Auch in vielen kleinen und mittelgroßen Gemeinden wurden gesundheitlich bedenkliche Werte ermittelt.

So auch in Gaisbeuren. Die Messung erfolgte vom 1. bis 30. Juni in der B 30-Ortsdurchfart unter Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben nach der neununddreißigsten Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes. Gemessen wurde damit nicht an der Stelle mit der höchsten Belastung, sondern außerhalb verkehrsreicher Knotenpunkte und auf einem für die allgemeine Wohnbevölkerung repräsentativen Streckenabschnitt. Im Gegensatz dazu hatte der Ortsverein Bad Waldsee der Grünen im Februar nach eigenen Angaben in Bad Waldsee direkt an der Stadthallenkreuzung gemessen. Nicht nur die gemessene Luftbelastung wurde damit künstlich nach oben getrieben, sie war auch für die allgemeine Wohnbevölkerung nicht repräsentativ.

Die Juni-Messung an der B 30 in Gaisbeuren ergab einen Wert von 23,0 µg NO2/m³ im Jahresmittel. Der aktuelle Grenzwert liegt bei 40 µg/m³. Neuere Untersuchungen gehen davon aus, dass schon ab 20 µg/m³ eine Gefahr für die Gesundheit besteht.

Welchen Schluss zieht die "Initiative B30" aus der Messung? Die "Initiative B30" ist der Deutschen Umwelthilfe sehr dankbar. Ohne die Unterstützung hätte es in Gaisbeuren wohl nie eine Messung gegeben und die Bevölkerung wäre über die bestehende Belastung im Unklaren geblieben. Die Bürgerinitiative rechnet jedoch nicht damit, dass die Messung Konsequenzen haben wird. Allenfalls werden auf Bundesebene umweltfreundlichere Fahrzeuge gefördert. Für Gaisbeuren werde es aber weder einen Luftreinhalteplan noch Fahrverbote geben. Eine wirkliche Entlastung wird dort erst durch die Realisierung der B 30-Ortsumfahrung erfolgen, egal in welcher Ausführung: Während sich Luftschadstoffe innerorts anreichern, werden sie außerorts rasch verdünnt. Die Planung müsse endlich aufgenommen werden. Statt dessen schiebe das Regierungspräsidium die Planung entgegen aller Prioritätenlisten, einschließlich der des Landes, immer weiter nach hinten. Von der Planung hängt schließlich auch der städtebaulich verträgliche Umbau der Ortsdurchfahrt ab, den die Stadt Bad Waldsee plant. So herrsche nun trotz der aus Bundessicht höchsten Dringlichkeit Stillstand.
 
 
Hintergrundinformation Stickstoffdioxid
 

Stickstoffdioxid (NO2) ist ein braunrotes, stechend riechendes, äußerst korrosives und stark giftiges Gas. Zusammen mit Regen reagiert es zur aggressiven, brandfördernden, giftigen und ätzenden Salpetersäure. Salpetersäure wird aufgrund der hohen Reaktionsfreudigkeit zur Herstellung von Sprengstoffen verwendet. Die Einatmung der Gase kann zu einem toxischen Lungenödem führen.

Langzeitiges Einwirken von Stickstoffdioxid führt zu einer Verschlechterung der Lungenfunktion, Zunahme von Atemwegssymptomen und bei Kindern zur Beeinträchtigung der Lungenentwicklung. Ein Anstieg der Sterblichkeit insbesondere bei direktem Wohnen an verkehrsintensiven Straßen wurde beobachtet. Nach einer Studie des Umweltbundesamtes (UBA) besteht ein Zusammenhang mit Diabetes mellitus, Bluthochdruck, Schlaganfall, der chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD) und Asthma. Demnach treten gesundheitliche Auswirkungen bereits ab einer Belastung von 10 µg/m³ Luft auf. Die mittlere natürliche jährliche Hintergrundkonzentration von NO2 liegt weltweit bei Werten zwischen 0,4 bis 9,0 µg/m³.

Während sich Luftschadstoffe außerorts rasch mit der Umgebungsluft verdünnen, reichern sie sich innerorts aufgrund der Bebauung an. Aktuell gilt in Deutschland für Stickstoffdioxid ein Grenzwert von 40 µg/m³ Außenluft im Jahresmittel. Dieser Grenzwert wurde 1999 von der EU-Kommission beschlossen. Die Weltgesundheitsorganisation WHO kommt in neueren Studien (WHO 2013b; Heroux et al. 2015) zu der Erkenntnis, dass gesundheitsrelevante Wirkungen von NO2 ab einer langfristigen durchschnittlichen Exposition von 20 µg/m³ kalkuliert werden müsse.
 
 
Wie kann die Luft besser werden?
 
Zur Verringerung von verkehrsbedingtem NO2 kommt die Verringerung von Fahrten mit dem eigenen Pkw in Betracht, die Bildung von Fahrgemeinschaften oder der Umstieg auf den öffentlichen Nahverkehr. Aber auch Fahrzeuge mit geringerem Kraftstoffverbrauch, die Reduzierung von stockendem Verkehr und Staus, wie auch ein defensiver Fahrstil.

Zur Entlastung innerörtlicher Bereiche eignet sich ebenfalls eine Reduzierung der Verkehrsmenge, kurzfristig mit Fahrverboten, langfristig mit baulichen Maßnahmen. Fahrverbote kommen eher für größere Städte in Betracht. Ortsumfahrungen eignen sich vor allem für Orte mit hohem Durchgangsverkehr, entfalten jedoch in Städten mit ausgeprägtem und dominierendem Binnen- und Quell-Ziel-Verkehr nur geringe Wirkung.

Als kurz- bis mittelfristig umsetzbare Maßnahme erforscht die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) in einem Pilotprojekt die Beigabe von Titandioxid (TiO2) in Fahrbahnbeläge, Lärmschutzwände und weitere bauliche Straßenelemente. Titandioxid bewirkt eine chemische Reaktion, durch die Stickstoffdioxid aus der Luft photokatalytisch zu Nitrat umgewandelt und über das Straßenabwasser abgeleitet werden kann. Abschließende Ergebnisse liegen mit Stand 2017 jedoch nicht vor.


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